Moderne Magie

Einige Gedanken zu den Grundlagen der Kunst.

I. Moderne Magie

Der magisch Praktizierende des 21. Jahrhunderts muss die volle Verantwortung für sein Handeln übernehmen und sich daher als autonomes Wesen betrachten. Niemand außer uns selbst wählt unseren Weg, auch wenn wir von einem persönlichen Lehrer, aus Büchern oder anderen Quellen gelernt haben, wie man ihn geht. In der Vergangenheit war dies noch anders: Oft lag die Verantwortung für den eigenen magischen Weg beim Lehrer, und auch das Schüler-Lehrer-Verhältnis wurde primär einseitig vom Lehrer bestimmt.

Da heute der/die MagieschülerIn die volle Verantwortung über sein/ihr Handeln trägt, ist es wichtig, dass der Weg selbst transparent und möglichst im Vorfeld nachvollziehbar ist. Zumindest sollte dies so weit der Fall sein, dass der/die SchülerIn die Auswirkungen seines/ihres Handelns vorhersehen kann, bevor er/sie die ersten Schritte macht.

In früheren Zeiten wurde dies nicht als notwendige Voraussetzung angesehen, da der/die SchülerIn eine bestehende dogmatische Auffassung über die geistige, seelische und körperliche Konstitution des Menschen übernahm. Heutzutage sind die Fähigkeiten jedes Einzelnen gefragt und gefordert – denn an die Stelle von Tradition und Orthodoxie treten persönliche Integrität und Verantwortung.

Da der moderne Mensch (im Gegensatz zum archaischen) nicht über ein erleuchteteres Bewusstsein als seinen kognitiven Verstand verfügt, dienen die ersten Übungen auf dem IMBOLC-Trainingsweg dazu, sich wieder mit seinem denkenden Bewusstsein zu verbinden. Trotz der bestehenden Überbetonung der kognitiven Funktion in der westlichen Hemisphäre, sollte sie im magischen Training nicht vernachlässigt werden. Ganz im Gegenteil, ihre frühe Integration ist sogar noch kritischer, um dysfunktionale Dichotomien wie zwischen Verstand und Intuition oder Logos und Eros in einem späteren Stadium der Arbeit zu vermeiden.

Dies ist der Grund, warum wir keinerlei Atemübungen, keine Mudras oder Mantrams anbieten, bevor nicht ein neuartiges und abgerundetes Bewusstsein für das Verständnis und die Wahrnehmung dieser Übungen im Schüler etabliert ist.

II. Geistesgegenwart

Anfangs fällt es dem/der SchülerIn der magischen Künste schwer, an etwas anderes zu denken als an natürliche oder von Menschenhand geschaffene Objekte. Zu erkennen, wie die eigene Geistesgegenwart solche Gedanken färbt und oft verzerrt, ist anfangs recht schwer.

Sobald es dem Schüler zumindest teilweise gelungen ist, seine/ihre eigenen kognitiven Bilder von den Objekten der Überlegungen zu trennen, kann er/sie beginnen, Gedankenmeditationen zu üben. Diese werden durch Meditation auf Sätze oder Inhalte geübt, die sich nicht auf die Welt der Sinneswahrnehmung beziehen.

III. Praktik

Das Wesen der Versenkung in ein Meditationsobjekt (d.h. oft in einen einzelnen Satz, einen Aphorismus oder ein abstraktes Objekt), kann als “Ruhen” darauf beschrieben werden – eine Art wortlose Präsenz, eine stille Verbindung mit dem Objekt der eigenen Meditation. Ein bedeutungsvoller Satz, der eine neue Bedeutung offenbart. Die Erkenntnis entsteht ohne Worte, die Bedeutung des Sinns wird unmittelbar vor ihrer Verkörperung erlebbar, erst dann wird sie ausgedrückt und in Worte gebunden. In der kontemplativen Phase geht es darum, den Sinn intuitiv zu erfassen und dabei die Hände des kognitiven Verstandes still zu halten und diesen intuitiv wahrgenommenen Sinn nicht mit Worten zu überformen.

Nach dem Üben der Gedankenmeditation können dann imaginative und visuelle Meditationen durchgeführt werden, später Wahrnehmungsmeditationen auf natürliche Objekte, deren Sinn dem Alltagsbewusstsein nicht vorstellbar ist. – Für erfolgreiche Wahrnehmungsmeditationen muss der Übende eine gewisse Kontrolle über die Gestik und Dynamik seines kognitiven Geistes haben.

Ziel solcher Bewusstseinsübungen ist es, das passiv reflektierte Alltagsbewusstsein zu überwinden und sich einer Sphäre des lebendigen, unvermittelten Bewusstseins bewusst zu werden, welche mitten im Leben zu finden und zugänglich ist. Wurde dieses Ziel in der Vergangenheit oft durch das Ausschalten von Einflüssen des Alltags verfolgt (asketische Übungen), so können wir heute mit und durch unser Alltagsdenken arbeiten, um es wieder auf seinen Ursprung auszurichten.

 

 

Praktiken wie diese werden in unserem Studienkurs-Lehrplan in zugängliche und pragmatische Übungen und Schritte heruntergebrochen. Sie erfordern keine Vorkenntnisse, Fähigkeiten oder Abschlüsse. Trotz ihrer inhärenten Komplexität werden Sie vielleicht überrascht sein, wie viele Fortschritte Sie bei der Entwicklung solcher Fähigkeiten mit einfacher täglicher Praxis über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten machen können.

Dies sind die wesentlichen Grundlagen für die gesamte Ritual- und Geistarbeit, die wir in den späteren Modulen des Kurses in Praxis und Theorie vermitteln.